An ein Publikum

Ich träume den Traum vom Publikum, als einer geeinten Gesellschaft. Trotz  meines Wissens, dass in der Wirklichkeit die breite Bürgerschicht einstiger Opernhäuser und Theater nicht mehr existiert, die denselben Stücken und Werken einhellig zugeklatscht und gelauscht hatten. Dieses Ideal der holden Kunst ist abgebröckelt in den Weltkriegsbomben und spätestens durch den sauren Regen der Nachkriegszeitindustriewunder. Danach kam nur mehr das Renoviere und Zukleistern der Fassaden aus überbordenden Fonds einer marktwirtschaftlich orientierten Immobilienhausse.

Die Leute haben in Scharen aus biologischen Gründen diese Tempel der Kunst verlassen, nachdem sie seit fünfzig, sechzig Jahren verlacht wurden von den nachkommenden Generationen. Der junge, geniale Komponist ohne kulturellen Horizont hatte beim Mittagstisch seine silbergraue Krawatte unter seinem schwarzen Anzug abgelegt, mit dem er zu Präsentation seiner Kinderoper noch erschienen war, pünktlich wie keiner der in entweder ausgewaschenen T-Shirts oder aus modischen Fringe-Boutiquen vermutlich teuer erstandenen Modeteilen nach und nach individuell herointröpfelnden Künstler-Doppelpunkt-innen. Dieses Ablegen der silbergrauen Krawatte durch den jungen Komponisten der Kinderoper erschien mir als rätselhafte Handlung einer minimalen Bewusstwerdung der eigenen Bedeutungslosigkeit in einer zerbrochenen Kunstszene, zu der er, der junge Komponist, nie dazugehören würde wollen, und aber nun doch, sich verirrt hatte. Das »Rabbit Hole of contemporary Performance art« – die Schredder-Recycling-Maschine jugendlichen Idealismus, in der andere Gesetze gelten als die letzten Jahrtausende. Mag sein, mag sein, – dass sich die Naturgesetze verändern mit dem ausdehnenden Universum. Aber – dass sie sich so schnell verändern würden – damit hatte wohl niemand gerechnet. Am wenigsten die Komponisten. 

Nun träumen wir den Traum von Relevanz und Einheit der Gesellschaft, Der Traum von einer Kunst, die therapeutisch wirkt, all das zu kompensieren und zu reparieren, was die Welt so schändlich hält, das Glück des Daseins vor Augen zu führen. Warum ist uns das Glück in der Kunst abhanden gekommen? – Weil Kunst doch »nur« Mimesis ist der Welt. Die Kunst ist der Wald, aus dem das Echo der Explosionen und Maschinen widerhallt, und all die Geräusche und zänkischen Stimmen des ins Milliardenfache aufgeblähten Menschheitschores. 

Die Erfindung der Kakophonie geschah durch geniale Komponisten, als es die Kakophonie noch gar nicht gab. Damit zeigt sich, dass die Denker und Komponisten die Welt vertonen, die zukünftig ist. So war das einst, bis zum Verstummen von viereinhalb-Minuten Dauer. 

Es scheint, als würde derjenige, der als erstes die große Bombe zündete, auch noch mit einem Denkmal belohnt. 

Das Schweigen der Geschichtsschreibung wäre vielleicht weiser gewesen, als der doch gescheiterte Versuch, aus ihr zu lernen? Was wir Lernbereiten lernten, war letztlich das: Zu sehen, dass nichts daraus zu lernen war. 


On Audiences

I dream of the audience as a united society. Despite my knowledge that, in reality, the broad middle class of former opera houses and theaters that unanimously applauded and listened to the same plays and works no longer exists. This ideal of the fine arts crumbled away in the bombs of World War II and, at the latest, in the acid rain of the post-war industrial miracle. After that, all that followed was the renovation and pasting over of facades from the exuberant funds of a market-oriented real estate boom.

People left these temples of art in droves for biological reasons, after fifty or sixty years of being ridiculed by future generations.

The young, brilliant composer with no cultural horizon had taken off his silver-grey tie under his black suit at the lunch table, in which he had appeared for the presentation of his children’s opera, more punctually than any of the artists‘ colons, who were gradually and individually dripping with heroin-ic in either washed-out T-shirts or pieces from fashionable fringe boutiques. This discarding of the silver-grey tie by the young composer of the children’s opera seemed to me to be a puzzling act of a minimal awareness of his own insignificance in a broken art scene to which he, the young composer, would never have wanted to belong, and yet had now lost his way into. The “rabbit hole of contemporary performance art” – the shredder-recycling machine of youthful idealism, in which other laws apply than those of the last millennia. It may be, it may be – that the laws of nature change with the expanding universe. But – that they would change so quickly – nobody had expected that. Least of all the composers.

Now we dream the dream of relevance and unity in society, the dream of an art that acts therapeutically to compensate for and repair everything that keeps the world so shameful, to show us the happiness of existence. Why have we lost happiness in art? – Because art is “only” mimesis of the world. Art is the forest from which the echo of explosions and machines reverberates, and all the noises and quarrelsome voices of the chorus of humanity, inflated a billion times over.

Cacophony was invented by ingenious composers at a time when cacophony did not even exist. This shows that thinkers and composers set the world that is to come to music. That’s how it used to be, until the four-and-a-half-minute silence.

It seems as if the first person to detonate the big bomb will be rewarded a monument.

Perhaps silence by historiography would have been wiser than the failed attempt to learn from history. What we who were willing to learn ultimately learned was this: To see that there was nothing to learn from it that would eventually turn the events.