KOLLAPSOLOGIE

2022 KUNSTSCHNEE

Kunstschnee ist das, was ich eigentlich nie machen wollte: ein experimentelles Musiktheater.

Doch bevor ich in Details gehe und dann zum Blog, der begleitend zum Projekt entstehen soll, eine kurze Begründung zum ersten Satz.

Experimentelle Kunst klingt danach, als handelte es sich eigentlich gar nicht um Kunst. Und im Grunde sehe ich das auch so: Wenn man nicht weiß, was herauskommt, dann nennt man es »Experiment«, und wenn man nicht weiß was es ist, dann muss es wohl Kunst sein. Soweit die Bonmots. Weder zum Einen noch zum Anderen fühle ich mich hingezogen. Weder will ich mich meiner Verantwortung entziehen für das, was ich gestalten will, noch will ich das, was ich gestalten kann aus der Hand geben. Außerdem glaube ich an die Kunst und an die Möglichkeit einer Kunst in dem Sinn, dass sich die Kunst als Kunst erkennbar zeigt. Das Versteckspiel, man soll im Alltag die Kunst suchen und finden langweilt mich in den allermeisten Fällen. Daher mache ich auch Musik-Theater, was für mich bedeutet, dass die Musik, also der sogenannte Inhalt, in einem Theater, also an einem ganz speziellen Ort stattfindet. (Und wenn ich mir das andere Projekt für die heurigen MUSIKTHEATERTAGE ansehe, die Fahrradoper RINGDING!, dann bezeichne ich auch den Fahrradsattel als ganz speziellen Ort. Dieser Ort ist sakral, ist nicht profan, ist abgetrennt vom Alltag. Und dennoch ist es kein völliger Escapismus. In RINGDING! ist Konfrontation mit der urbanen Wirklichkeit und Reibung mit dem Lärm der Welt als Widerständigkeit die tiefer liegende Intention. In Kunstschnee hingegen wird die Wirklichkeit zum Material des Spiels. Der Raum wird erweitert in den Cyber-Raum, einen »Cyber Space«, mit dem wir seit den 1990er Jahren eigentlich nichts mehr zu tun hatten. Wir nennen es heute nur mehr »virtuell«, wenn Inhalte über die Devices zu uns finden.

Die Konfrontation findet hier also mit einem virtuellen Welt-Raum statt.

BLOG

Im Folgenden möchte ich in der Art eines Arbeitstagebuchs relevante Schritte auf dieser »Reise« durch eine musiktheatrale Kollapsologie dokumentieren. Auf einer weiteren Seite wird das »Répertoire« entstehen, ein Buch mit den Materialien für die Aufführung.

Donnerstag, 7. April 2022

Mit Saskia das Projekt besprochen, wie es jetzt konzipiert ist, hinsichtlich einer Teilnehme von Kindern und Jugendlichen. Dabei habe ich sie, bei aller ihrer erfreulichen Begeisterung für das Projekt, dann darauf aufmerksam gemacht, dass die »Kollapsologie« die Gefahr einer psychologischen Abwärtsspirale birgt. Wenn nun die jungen Menschen nach der bedrückenden und sehr verunsichernden langen Zeit der Pandemie, eine Zeitdauer, die sie in ihrem Leben wie wir alle auch nicht mehr zurückbekommen werden, nun mit den entsetzlichen Entwicklungen durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine auch noch mit den Schrecken jener sinnlosen Gewalt und Gräuel nun auch noch weitere apokalyptische Reiter aufgetischt bekommen, und man ihnen dabei sagt, es handle sich um Kunst, und Kunst sei noch wichtig und wertvoll für die Gesellschaft, und die Teilnahme and er Gesellschaft, dann können hier unabsehbare mentale und kulturelle Probleme entstehen. Ich sagte ihr also, dass mir das bewusst sei, und hier soweit als möglich durch die Auswahl des Materials im Repertoire gesorgt wird, dass es auch weniger deprimierende Nachrichten gibt, Anregungen, die wir auch als Aufgaben begreifen sollen. Dieser Weg zu einer Bewusstwerdung unserer Existenz in der Welt, über den Raum und den Bedarf unserer Existenz auf dieser Welt nachzudenken, ist die wichtigste Herausforderung der Gegenwart. Letztlich leben wir in dieser Welt, und nur dieses eine Leben. Die existenzielle Erfahrung unserer Begrenztheit, verstehe ich als eine Intensivierung des Lebens, genauso, wie ich die Kunst als eine Intensivierung des Lebens sehe. Beide hängen untrennbar zusammen.

Mit Markus besprachen wird das Objekt, das aufgeblasen werden soll. Mir kam der Gedanke, dass hier die Möglichkeit wäre, eine ursprüngliche Idee, dass alle gemeinsam etwas zu erledigen hätten, so etwas, wie beispielsweise ein Schiff zu bauen, dieses Objekt mit einer Doppelhubpumpe aufblasen könnten. Wir errechneten allerdings für die notwendigen 100.000 Liter Luft eine Arbeitszeit von 17 Stunden! Dennoch: Alle an der Aufführung Teilnehmenden – das sind also alle Anwesenden – werden das Objekt aufpumpen versuchen . . .