Zu diesem Motto der MUSIKTHEATERTAGE WIEN fand ich bei Herbert Marcuse einen Satz, den er vor genau sechzig Jahren schrieb:
Der Spielraum, in dem das Individuum seine Auswahl treffen kann, ist für die Bestimmung des Grades menschlicher Freiheit nicht entscheidend, sondern was gewählt werden kann und was vom Individuum gewählt wird.
Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch (1964)
Im ersten Moment wird man sich fragen, worin der Unterschied zwischen „eine Auswahl treffen“ und „was gewählt wird“ besteht. Angebote zur Wahl erhalten wir im Allgemeinen von einem kalkulierenden, konformen und auf Profit ausgerichteten Markt. Diese Angebote, so zahlreich sie auch sein mögen, sind aber bei genauerem Hinsehen meist weit von dem entfernt, was noch möglich wäre darüber hinaus. Was ist mit „hinaus“ gemeint? Noch mehr Auswahl? „More of the same“? Nein.
Ich sehe hier – Marcuses Satz bedenkend – die von ihm idealisierte „wahre“ menschliche Freiheit dort, wo dieses „Mögliche“ die innere Weiterentwicklung des Individuum im Menschlichen, also die Entwicklung von uns selbst betrifft. Wo wir als Menschen eine Wahl haben, die durch unsere kulturelle und geistige, auch moralische Entwicklung verbessert wird. Diese innere Weiterentwicklung zu betreiben gelingt unter anderem in der Kunst. Oder zum Beispiel im Musiktheater.
In der Musik geht es nicht nur darum, die richtigen Noten zu spielen, sondern mehr noch darum, welche Noten. Dafür reicht es auch nicht aus, immer wieder dasselbe zu spielen, nur in anderem Tempo.
Die Kunst kann uns aus der Vorstellung befreien, es gäbe eine Wahl nur innerhalb der vor uns ausgebreiteten, aber vorfabrizierten Angebote. Über diese scheinbare freie Wahl hinauszudenken an etwas Unkalkuliertes, Unerwartetes und Überraschendes, mit dem Ziel, uns als Menschen zu befreien vom konformen, homogenisierten, kalkulierten Massenkonsum.
Darin liegt auch unsere Zielsetzung für ein Musiktheaterfestival wie der Musiktheatertage Wien, das Mögliche zu suchen, in dem es anregt zu einer Wahl, die im Angebot über das Vorhersehbare hinausgeht.
IT IS YOUR CHOICE (“Du hast die Wahl, Fisch”)
For this motto of the MUSIC THEATRE DAYS VIENNA, I found a sentence by Herbert Marcuse that he wrote exactly sixty years ago:
The scope within which the individual can make his choice is not decisive for determining the degree of human freedom, but what can be chosen and what is chosen by the individual.
Herbert Marcuse: One-dimensional Man (1964)
At first you might wonder what the difference is between “making a choice” and “what is chosen”. We generally receive offers of choice from a calculating, conformist and profit-oriented market. These offers, however numerous they may be, are, on closer inspection, usually far removed from what would be possible beyond that. What is meant by “beyond”? Even more choice? “More of the same”? No.
I see here – considering Marcuse’s sentence – the “true” human freedom idealized by him where this “possible” concerns the inner development of the individual in the human, i.e. the development of ourselves. Where we as human beings have a choice that is improved by our cultural and spiritual, including moral, development. This inner development can be achieved in art, for example. Or in musical theater, for example.
In music, it’s not just about playing the right notes, but even more about which notes. It is not enough to play the same thing over and over again, just at a different tempo.
Art can free us from the idea that there is only a choice within the prefabricated offerings laid out before us. To think beyond this seemingly free choice to something uncalculated, unexpected and surprising, with the aim of freeing us as human beings from conformist, homogenized, calculated mass consumption.
This is also our aim for a music theater festival like the Musiktheatertage Wien, to seek the possible by encouraging a choice that goes beyond the predictable.