Arbeit an einem partizipativen Musiktheater über „Luft“
Zu Beginn war ein Witz:
Breaking News: »ÜBERMORGEN KOMMT DIE SINTFLUT !!«
Pfarrer, Imam und Rabbiner werden um ihre Meinung gebeten. Sagt der Pfarrer: »Lasst uns beten!« – Der Imam sieht das anders: »Allahs Wille ist unser Schicksal!« – Daraufhin der Rabbiner: »Wir haben zwei Tage Zeit zu lernen, wie man unter Wasser lebt!«
Die Ereignisse der Zeitgeschichte allerdings machen nicht nur diesen Witz möglicherweise zu einem Missverständnis, vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, in dem hier eine Kultur definitiv zu Ende gegangen ist. Doch geht es hier jetzt nicht um die jüdische Kultur als solche, auch wenn wir in dem eingangs erzählten Witz ein Grundmotiv des Überlebens der jüdischen Gemeinden, des jüdischen Volks insgesamt sehen können.
Es geht um eine Metapher für unseren Planeten. Angesichts der bedrohlichen Zuspitzung von Systembelastung auf jedem erdenklichen Sektor – nicht nur dem sogenannten „Klima“, das als Begriff ohnehin viel zu kompliziert ist, als dass einzelne Menschen dieses „verstehen“ könnten. Wir sind als Spezies vermutlich am Ende des „Verstehen-Könnens“ dieser Welt angelangt. Wird uns die künstliche Intelligenz in Zukunft beispringen und Lösungen für das Überleben der Menschheit vorschlagen?
Müßigen Spekulationen ausweichend doch noch einmal zum „Überleben“ als solches: Das Judentum war seit Anbeginn der christlichen und später islamischen Übermacht durch Verfolgung und drohende Auslöschung ausgesetzt. Es ging also um ein Überleben angesichts konkreter Verfolger und Gegner. Das Überleben der Menschheit am jetzigen Zeitpunkt hat keine konkreten Feinde, sondern nur sich selbst. Wir müssten, als Spezies, gewissermaßen gegen uns selbst antreten. Diese Logik mag der Grund sein, warum es auch bisher nicht gelungen ist, die einst symbiontische Homöostase aller Lebewesen auf der Erde auch für die Zukunft sicher zu stellen. Anders gesagt: wir wissen nicht einmal eindeutig, wen oder was „wir“ eigentlich überleben sollen.
Das sind keine Spitzfindigkeiten, sondern Realien dieser, der kommenden und der nachfolgenden Generationen.
(In einem anderen Blogeintrag werde ich mich zur der intergenerationellen Problematik als einer der wesentlichen Ursachen misslungener Maßnahmen zur Umweltproblematik äußern.)
Für das Projekt der Kollapsologie 3, in dem es um das „Element“ Luft geht – eigentlich, und daher spielt diese Konferenz unter dem Meeresspiegel, denn erst unter Wasser zeigt sich sehr rasch uns Menschen die Grenze des Lebbaren! – hatte ich einen österreichischen Lyriker um zwölf neue Sonette mit Szenen aus einem Leben am Meeresboden gebeten.
Thomas Ballhausen verfasste auf meine Anfrage daraufhin seinen mehrteiligen Text „Atmosphären“ in einer äußeren formalen Anlehnung an klassische Sonette. 12 Szenen aus einem Leben unter Wasser. – Im Gespräch über die Inhalte dieser Szenen kam mir heute der Gedanke, und um den soll es in diesem Eintrag gehen, dass zwischen dem rationalen, kühlen Auftrag des Rabbi in dem eingangs wiedergegebenen Witz gegenüber einer Vorstellung vom Leben unter Wasser als einer Utopie, einer Anders-Welt oder gar eines Freizeit-Erlebnisses ein fundamentaler Unterschied besteht.
Wenn der Auftrag des Rabbiners auf die Situation des Holocaust übertragen wird, wo es im Konzentrationslager – vor allem ex post betrachtet – um das Überleben in einem komplett lebensfeindlichen Umfeld ging, dann ist dies keine frei gewählte „Herausforderung“ (wie man heute modischerweise das Wort „Herausforderung“ ständig verwendet sieht), sondern eine dramatische und existenzielle Bedrohung. Hingegen scheinen mir die neuen Sonette in „Atmosphären“, so deren Titel, in einer poetischen Weise eine Anderswelt zu skizzieren, in der sich gewissermaßen dem Titel folgend lediglich die Atmosphäre geändert hat, also vielleicht der atmosphärische Druck.
Die Atmosphäre ist freilich in den letzten Jahrzehnten auch zu seinem sozialphilosophischen Begriff geworden. Wir haben beobachtet, dass solche herrschenden Atmosphären sehr rasch kippen können. Wir sprechen nicht zuletzt im Zusammenhang vom Klimawandel auch von tipping-points, den Kipppunkten, an denen dann Systeme eben – kollabieren. Dies ist auch das Kern-Thema der „Kollapsologie“. Soziale Systeme sind nicht das Thema des 3.Teils, aber die partizipative Anlage der gesamten Reihe will gerade an einem zerissenen sozialen Gewebe unserer Gesellschaft hierzulande flicken. Denn: Meiner Überzeugung nach kann es keine Veränderung, vor allem keine Verbesserung geben, oder gar eine so viel beschworene Rettung der Welt, wenn der Einzelne keinen Zugang zu Kunst findet. Oder, wenn die Gesellschaft in der Kunst nichts anderes sieht als einen Markt und Jahrmarkt der Eitelkeiten. Ethik, Kultur, Kunst – alles hängt zusammen, überschneidet sich und hat sein Gemeinsames darin, dass es eben gerade keiner ökonomisierbaren Absicht unterliegen darf, sondern einzig und allein der Entwicklung und dem Fortschritt des Einzelnen. Es gibt kein universal adressierbares „Wir“, das man ermahnen kann. Keine Gesetze, Mahnungen, Bücher, Podiumsdiskussionen, Filme, und was auch immer, das frontal sich an eine solche Wir-Öffentlichkeit wendet, einer Entität im ursprünglich politischen Sinn der Demokrati nämlich, wird eine Wirkung zeigen. Diese Wir und diese archaische Form von „Demokratie“ existieren nicht mehr. Diese Überzeugung übernehme ich übrigens direkt von Sokrates, so, wie ich Sokrates interpretiere. Das heißt, dass bereits zur Zeit von Sokrates, kein geselleschaftlicher Hebel existierte, alle Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken – außer in der Tyrannis.
Daher müssen wir, die sich mit diesem Stück „Das Atmen der Ozeane oder: Atlantis“ in irgendeiner Weise beschäftigen, oder letztlich auch daran teilnehmen wollen, die Frage stellen, ob unsere Zukunft ein touristischer Ausflug sein wird oder eine existenzielle Notsituation. Freilich: Man kann sagen, man wird sich der Not des Augenblicks widmen, wenn er gekommen ist. Dem ist schwer zu widersprechen. Außer, man versucht nicht nur diese Not in gewisser Weise zeitlich einzuschätzen, oder gar abzuwenden, in dem man vorsorgt. Im Moment ruht sich doch die Weltbevölkerung darauf aus, vorzusorgen – zumindest irgendwann, wenn es nicht mehr anders geht. Mit einem Wort: Wenn die Not bereits eingetreten ist. Dann wird es aber „zu spät“ sein. Dann ist nur mehr ein Reagieren möglich. Dann werden aller Voraussicht nach auch jene zwei Tage, die im eingangs erzählten Witz immerhin noch gegeben sind, fehlen.
Mithin ist das, was der Rabbiner meint, eine Anstrengung, vielleicht auch nur gedanklicher Art, sich mit einer solchen existenziellen Notsituation auseinanderzusetzen, gar: vertraut zu machen, nämlich bereits jetzt schon. Wir sind keine Prominenten, die mittels Flugzeug in einem Urwald abgesetzt werden. Wir sind doch nicht solchen Idioten, die im allgemeinen spectacle de la société den Hanswurst geben!
Wer freilich die Absicht hat, sich zu Tode zu amüsieren, wie Neil Postman das 1988 formulierte, der braucht auch keine Ernsthaftigkeit an den Tag zu legen. – Ich hingegen lese aus dem Witz mit dem Rabbiner heraus, dass jede ernsthafte Tätigkeit mit einem Witz beginnen darf.