Anmerkungen zu meinem Musiktheater

Heute erhielt ich einen Link zur Videodokumentation meines Musiktheaters KOLLAPSOLOGIE I: KUNSTSCHNEE vom vorigen September (2022). – Inzwischen ist in der Hitze realer und mentaler Gefechte der Kunstschnee dahingeschmolzen, ich habe mich dem zweiten Teil der „Kollapsologie“ zugewandt, betitelt „Feuers Wende“ (Oder „Feuers Wandlungen“ – je nachdem wie man das Original von Heraklit übersetzt.) Der überraschende Regen in diesem Frühling hat mancherorts die ausgetrockneten Böden weich gemacht und und auch die Angst vor der großen kommenden Dürre wich einer Hoffnung auf Ernte. Mitten in die Aussaat am Land ist auch die meine zur Fortsetzung der Musiktheater-Serie KOLLAPSOLOGIE eingestreut: Mit meinen Kollegen Peter Koger und nun im Team Max Seper für die Raumgestaltung, geht es ahnungsvoll weiter. Doch ehe (in einem eigenen Artikel) diese zweite Episode von KOLLAPSOLOGIE besprochen werden soll, möchte ich einen aktuellen Gedanken, nämlich meine sich konkretisierende aktuelle Beobachtung zu meinem Musiktheater zusammenfassen.

Aktuelles Musiktheater

Über Jahre hin – seit den späten 1990er Jahren bis etwa 2010, um eine runde Jahreszahl zu nominieren – beteiligte ich mich an Konferenzen und Meetings zum sogenannten Neuen Musiktheater. Der einzige gemeinsame Nenner dieses damaligen Diskurses schien mir das Herbeireden einer Art Identität dieser Kunstform Musiktheater, – und zwar samt und sonders stets im Kontrast zum regulären Opernbetrieb mit seinem Repertoire. So angeregt diese Diskussionen und die Versuche, Terrain zu machen auch waren, sie blieben letztlich erfolglos, wenn sie Ausschau hielt nach einer Erfolgsgeschichte, die sich an der Erfolgsgeschichte der großen Oper orientieren würde. Von den ökonomischen Dimensionen ganz zu schweigen. Auch künstlerisch blieb sei ein Randprodukt ohne klare Umrisse.

In den letzten Jahren aber, in etwa seit 2010, sehe ich eine mich überraschende Dynamisierung dieser Kunstform aus „Musik+Text+Szene“ als einer Multi-Kunstform. Diese Konturierung, dieses erstarkte Keimen ist auch der Erosion des Repertoire-Opernbetriebs geschuldet. Die Pandemie hat in ihrer Gewalt zusätzlich zum demografischen Kippen erstaunliches Stillhalten in verschiedenen Bereichen erzwungen, darunter im Operntheaterbetrieb. Die Regelmäßigkeit der Darbietungen und das Unveräußerbare dieses Repertoire wurden in Frage gestellt. Künstlerisch gesehen war die Wirkung eher irrelevant aus meiner Sicht, jedoch in der gesellschaftlichen Dynamik erschüttert sie bis jetzt die Motorik. Die Verwerfungen im Kosmos der Darstellenden Künste sind noch längst nicht abgeschlossen. Eine davon sind die vermehrten Zweifel an der Sinnhaftigkeit des bürgerlichen Repertoire-Betriebs, wie er im späten 19.Jahrhundert entstand.

Seit jeher beschäftigen mich alternative Formen von „Musik+Text+Szene“. Und kaum schrieb ich ein „ganz normale Oper“ – wurde sie zur alternativen Kunstform: Selbst die vom Operntheater Sirene 2020 in Auftrag gegebene Oper „Die Verwechslung“ nach einem Libretto von Helga Utz wurde letztlich nicht im konventionellen Sinn uraufgeführt. Rasselte doch just vor der geplanten Premiere der Eiserne Vorhang des verordneten Schweigens der Theater als einer Hygiene-Vorsichtsmaßnahme herab und zwang nun auch diese Oper, sich in eine „Film-Oper“ zu wandeln. Es blieb als Kern der Besprechung dieses Stücks zweierlei: Welches sei nun definitive Form, gar die „bessere“ Form dieser Komposition?, und: wie würden sich sage und schreibe 8964 Besuche des Videos auf Youtube mit über 260 ausgewiesenen „Likes“ im realen Theater umsetzen lassen?

Wenn wir von einem Saal mit 200 Sitzplätzen ausgingen, würden wir 34 Vorstellungen benötigen. Ich kann mich nur an eine Produktion erinnern, nämlich mit Markus Kupferblum gemeinsam im „Totalen Theater Wien“: 45 mal spielten wir unsere „Traviata“. Doch sind uns in Wien solche Spielserien innerhalb der der „Freien Szene“ eher fremd. – Diese in ökonomischer Hinsicht fragwürdige Gepflogenheit, zumeist nur wenige Vorstellungen – unter zehn Termine – anzubieten, sei hier nicht Gegenstand der Betrachtung, sollte aber als Frage bestehen bleiben. Worum es mir geht, ist die im Erstaunen des nunmehr erwachten rhizomatisch keimenden neuen Musiktheaters meine eigene Position zu formulieren

Ein Theater der Begegnung

Meine Musiktheater-Arbeiten fokussieren auf die soziale Wirkung von Ästhetik. Kunst und im engeren Sinn Musik und dessen Theaterform sehe ich als einen Nährboden der Begegnung. Ich sehe darin eine Möglichkeit, ideologisch instrumentalisierten Haltungen und Gefühlen durch ein Vor- oder Übersprachliches der Musik einen Riegel vorzuschieben: Zu sehr ist in meiner Wahrnehmung die Gesellschaft durch einen überrationalen Wort-Fetischismus in eine mental klaustrophobe Situation geraten, jene wohlmeinenden Denk-Schemata, die Gerechtigkeit erreden wollen, aber nur noch mehr Gräben aufreissen und Abschottungen – vor allem auch zwischen Mann und Frau – errichten. Die posthistorischen Diskurse zerschellen aktuell darüber hinaus an der Diskurs-verweigernden Gewalt des russischen Aggressionskrieges, will heißen: zerschellen an der ideologischen Wut des Diskurs-Verlierers Russland gegen den sogenannten „Westen“. So jedenfalls stellt sich das aus der „westlichen Sicht“ dar. – In der Proklamation einer „multipolaren Welt“ hingegen wird der westlichen Political Correctness mit schamloser Gleichgültigkeit gegenüber Wahrheit und Fakten die Worte zerkauenden Sprechapparate eingeschlagen. Die Verwirrung und Dis-Information griff schon zuvor in das soziale Gewebe destruierend ein. Die vielfältigen Bastionen, Mauern und Ideologien als Idioto-Logien und Idioten-Logien sind aber allesamt Verbalkonstruktionen. Vorsprachliches und Übersprachliches hingegen, wie in der Musik und der Kunst allgemein, sehe ich als ein Mittel und Ver-Mittel-ung, eine Herstellung sozialer Verbindungen, wo die Sprache dagegenspricht. Der Sprache wird in der Kunst die Rolle eines Murmeln und Raunen eingeräumt, nicht der von Gesetzen.

Mein Blick in meine eigene Lebenszukunft und die meiner Umwelt hat sich in den vergangen drei Jahren derart stark verändert hinsichtlich der Beobachtungen des gesellschaftlichen Kollaps‘, sodass ich mit meinen Mitteln der Ästhetik entgegenwirken zu wollen mir vorgenommen habe, und dabei den verbalen Diskurs geradezu als Irrweg erachte. Das Schwergewicht der Worte wird angesichts einer „musikalischen Ummantelung“ – wie es ein Kritiker der Zeitung „Der Standard“ beschrieb – seiner Schädlichkeit ein Stück weit beraubt, und um ein Stück weit zurechtgerückt in seiner Insuffizienz. Denn: Kommunikation ist nicht unbedingt das verbale Agieren. (Es wird ohnehin zuviel geschrieben und gedruckt, sagte bereits Peter Suhrkamp, wenn ich Friedrich Torberg zitieren darf.)

In meinem Musiktheater und auch in meinen Musik-Projekten sind vielfältige Interaktionen mit dem anwesenden Publikum immer wieder Thema. So etwa wurde zur SMARTOPER (2017) zitiert, ich würde „das Publikum jedoch in die Welt der realen physischen Kommunikation zurückholen“, ebenso im Musiktheater KUNSTSCHNEE (Kollapsologie I,) (2022) oder in der „Fahrrad-Oper“ R¡ngD!ng, die letzte Woche in Weimar begeisterte Teilnehmer hatte. Musiktheater realisiert sich dabei als Spiel-Anordnung im Sinn eines „Theaters der Begegnung“, in dem die „Schwarmintelligenz“ aus Publikum und professionellen Mitwirkenden an einem gemeinsamen Prozess alle Anwesenden ermächtigt. Den ephemeren Charakter von Musik-(Theater) möchte ich dabei als wesentlich für eine aktuelle Weltgestaltung in sozialer und ökologischer Hinsicht betonen: Gesellschaft und Kunst sollen vermehrt auf dem „Sein“ als Prozess, und so wenig wie möglich auf einem „Haben“ als Produkt beruhen.

Diese im Vergleich zu den vielen hundert Sitzplätzen eines bürgerlichen Opernhauses doch recht überschaubaren Kapazitäten meiner Musiktheaterprojekte, werten aber den einzelnen Menschen auf, nehmen den Stress, in der Masse mit (zu) vielen unbekannten Anderen sich in einer uns als Species homo sapiens sapiens kaum noch adaequaten Weise „verhalten“ zu sollen, und ermächtigen den Einzelnen zu spielerischen Entscheidungen.

Ja, in diesem Sinn ist das Theater mittlerweile zum Modell einer Gesellschaft der Kooperation geworden, enthoben dem Wahnsinn der selbstverschuldeten Knechtschaft und indvidualistischen Ego-Separation, dem Irrsinn, sich selbst zu Sklaven von Technologie und digitaler Pseudo-Intelligenze gemacht zu haben. Möge uns diese Freiheit im Theater der Begegnung noch weiter zulässig sein! Evviva il teatro dell’incontro!

Publikumskonferenz
Das Publikum von „KUNSTSCHNEE“ (2022) konferiert.