Musiktheater
Stücktext, Vokalkomposition, Inszenierung Thomas Cornelius Desi 2020
Elektronischer Klangraum NIHE – Ekke Västrik (analog electronics), Tarmo Johannes (Flutes, sound programming), Taavi Kerikmae (digital Electronics)
Augmented Reality Design, Bühne, Robotics Peter Koger
Licht Vedran Mandic
Sound Studio Christoph Amann | Amann Studios
Kostüm Katharina Kappert
Maske Nina Beck
Kamera Richard Bayerl
Roboter Beratung Dr. Johannes Braumann / Creative Robotics / UfG Linz Beratung
Übersetzung Russisch Ingeborg Gasser
Administration Sophie Cwikla
Produktionsassistenz Anaelle Sewanee Dézsy
Tarkovski Gilbert Handler
Mischa Gotho Griesmeier
Boris Martin Achrainer
Roboter KUKA
Studienleitung Jinie Ka (2019/20), Romely Pfund (2020/21) Musikalische Einstudierung Tommaso Lepore, Katharina Müllner, Samuele Sgambaro, Ki Yong Song
Eine Produktion von ZOON Musiktheater, mit Förderung durch das Kulturamt der Stadt Wien und das Bundeskanzleramt / Sektion Kunst Kultur, in Kooperation mit WUK performing arts und dem Landestheater Linz
Wir danken Firma KUKA
ZUM STÜCK
Das Stück erzählt die zum Teil auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte zum achten, nicht mehr realisierten Film des legendären Filmemachers Andrei Tarkovsky. Erstmals wird damit Andrej Tarkovsky selbst zur theatralen Figur: eines rätselhaften Cowboy-Films. In einem “Spiegel-Saloon” kommt es zur Schießerei mit einem Unsichtbaren Gegenüber. Schwer verletzt begegnet er virtuellen Personen, die möglicherweise sein Leben bestimmen. Seine Vision eines Films im virtuellen Raum nimmt vage Gestalt an …
DAS MESSERSCHARFE DENKEN DES ANDREJ TARKOVSKYS
THOMAS DESI ÜBER SEINE ELECTRONIC OPERA „DER 8. FILM“
Ein Roboter, ein seltsamer Spiegel, die Verschränkung von Realität und Digitalität sind die Kernelemente von Thomas Desis „Tarkovsky – Der 8. Film“.
Dein Stück trägt den Untertitel „Electronic Opera“. Was können wir uns darunter vorstellen?
Thomas Desi: Electronic ist ein Hinweis auf mein Alter (!). Ich bin ja in den 1990er Jahren performativ sozialisiert worden und da war alles „electronic“: die music devices, Instrumente, etc. Wir haben jetzt auch noch einen Roboter auf der Bühne eingeplant, Moving head, videoprojektoren all over the place … Und das allein ergäbe ja schon eine Oper vom Aufwand her für uns. Aber es wird tatsächlich darin auch von zwei waschechten Opernsänger_innen von der Linzer Oper gesungen. Auch das ist eigentlich ein „Stil-Zitat“…
Was ist für dich das Faszinierende an der Person Andrei Tarkovsky?
Thomas Desi: Sein messerscharfes Denken. Außerdem bin ich nun schon seit über zwanzig Jahren immer wieder damit beschäftigt, da fasziniert einen wie mich schon die Faszination allein. Ähm…
Das Stück ist eine Verschränkung aus digitalen Einspielungen und realem Bühnengeschehen. Wie können wir uns diese Verschränkung vorstellen?
Thomas Desi: Ich werde doch hier nicht unsere Zaubertricks verraten! Nur soviel an dieser Stelle, dass wir einen interessanten Spiegel im Stück haben… und außerdem eine gewisse Mischa, die sich selbst vervielfachen kann. Und nicht zuletzt die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenkende Assistentin, wie heißt sie nochmal gleich… Siri? Alexa?… Hi there… wo ist mein…?!
Du schreibst, dass die Grenze, wer was zur Bühne und zur Musik beigetragen hat, fließend sind. Wie können wir uns eure Zusammenarbeit vorstellen?
Thomas Desi: Unsere Zusammenarbeit ist … fließend. Das will heißen, dass ich am Anfang jedes Arbeits-Threads etwas vorgeschlagen habe, Text, Musik, Szenen, Robotik, Bildideen, … die dann von den Partner_innen aufgegriffen wurden und selbständig entwickelt: die Musik von NIHE in Tallinn, die Projektions und Robotic-Ebene von Peter Koger, manches in der Solofigur gemeinsam auch in der Probenarbeit mit Gilbert Handler noch verändert, und natürlich aus den 7 Varianten des Sologesangs mit Gotho Griesmeier und Martin Achrainer, Operngesang, noch weiter fein getuned.
Und dann im „ Zusammenbau“ des Ganzen, wieder eine Art Ping-Pong mit Ansagen und loslassen… In dem Sinn finde ich das Arbeiten im freien Theater, Musiktheater eine Chance, tatsächlich so eine Art „Das-Ganze-Ist-Mehr-Als-Die-Summe“ Ding entstehen zu lassen. Das Problem des Künstlers ist manchmal seine Einsamkeit. Das Problem des Kollektivs ist die Nivellierung. Wenn’s gelingt, die Ideenkraft der Einzelnen mit der Umsicht des Kollektivs zu verbinden, freut das! Panta rhei …
https://www.wuk.at/programm/thomas-desi-tarkovsky-der-8-film/
MUSIKTHEATER „TARKOVSKY“ IM WUK: COWBOY, CHATBOT UND ALTE WEIßE MÄNNER
Reduziertes zeitgenössisches Musiktheater als kathartische Kur: „Tarkovsky – Der 8. Film“ von Thomas Desi
Der Filmemacher Tarkovsky trifft auf virtuelle Sehnsuchtserfüller: „Tarkovsky – Der 8. Film“ ist Musiktheater, das sich sehr zukünftig gibt. Foto: Barbara Pállfy
Man mag ihn sofort, den schmalen grauhaarigen Mann auf der Suche nach ein bisschen Liebe. Die kellertiefe Stimme des Einzelgängers ist rau und weich zugleich, und singen kann er auch: Johnny Cash und Tom Waits grüßen von der Bar. Wer ist der Typ vor dem schwarzen Spiegel? Der letzte Cowboy, der sich ins Wuk verritten hat?
Nein, es ist Andrej Tarkovsky. Thomas Desi (Stücktext, Vokalkomposition und Inszenierung) stellt in seinem Musiktheaterwerk Tarkovsky – Der 8. Film den legendären russischen Regisseur und dessen (vergebliches) Ringen um die Fortsetzung seines Œuvres ins Handlungszentrum. Die Substanz des Librettos ist aber ziemlich dünn. Tarkovsky hadert mehrfach mit der Prophezeiung, er würde nur sieben Filme drehen; ein geheimnisvoller Mann namens Boris gibt einen achten Streifen in Auftrag. Tarkovskys Ehefrau Mischa will die Hauptrolle in seinem nächsten Film und macht auch sonst nur Stress.
„Lonesome Cowboy“
Deutlich mehr als die letzten Wickel der Titelfigur fasziniert die zweite Ebene, die Desi ins Libretto eingebaut hat. Da gibt es einen Chatbot, mit dem sich der „lonesome cowboy“ immer wieder unterhält. Gibt es da draußen noch Menschen, oder sind alles nur Projektionen, Sehnsüchte unserer darbenden Herzen? Kann Tarkovsky dem Sprechcomputer vielleicht sogar mehr trauen als seinen Freunden, weil eine Maschine keine Erwartungen hat?
Der Chatbot spricht mit einer Alexa-sanften Stimme, die vom estnischen Elektrokollektiv Nihe mit sphärischen Klängen umhüllt wird. Ein unschuldig-weißer Roboterarm der Firma Kuka vollführt dazu Bewegungen von serviler Eleganz (Bühnenbild, Video, Robotik: Peter Koger). So wie der Junge David in Steven Spielbergs Film A.I. – Artificial Intelligence die blaue Fee finden will, die ihn erlösen und zum Menschen machen soll, so träumt Tarkovsky von einer engelsgleichen Frau mit einem blauen Band im Haar.
Ach, es ist alles so wohltuend an dieser Produktion. Gilbert Handler ist als Tarkovsky ein berührender Sinn- und Sinnlichkeitssuchender. Beruhigend der A-cappella-Gesang des auf einen semitransparenten Spiegel projizierten Boris (Martin Achrainer). Sogar die multiplizierte Mischa (Gotho Griesmeier) keppelt im Quartett auf eine leise Weise. Der reduzierte Einsatz von Musik, Text, Handlung und Personal wirkt so kathartisch wie eine Kur.
Perfekt für pandemische Zeiten
Tarkovsky – Der 8. Film ist ein Musiktheaterstück, das ein großes Zukunftsthema behandelt: künstliche Intelligenz und virtuelle Realität. Und es ist ein Musiktheaterstück, das auf gespenstisch visionäre Weise in unsere pandemische Gegenwart passt: ein Werk mit nur einem Darsteller, zugespielten Videoprojektionen und einer Handvoll Musiker.
Der Protagonist erscheint als ein Kompagnon jener alten weißen Männer, die mit dieser Welt zunehmend fremdeln und nur noch als liebenswerte Skurrilität erscheinen: Abteilung sympathische Dinosaurier à la Helge Schneider oder Harald Martenstein. Lebt es sich in der virtuellen Realität möglicherweise behaglicher? Dann wollen wir da auch hin – falls wir nicht gerade ein wundervolles Stück Musiktheater von Thomas Desi live miterleben. Denn wohltuender als diese 60 Minuten des leisen Eskapismus kann zeitgenössisches Musiktheater kaum sein. (Stefan Ender, 4.10.2020)
https://www.derstandard.at/story/2000120445297/tarkovsky-cowboy-chatbot
DIE BETEILIGTEN
Dieses Musiktheater entstand als gemeinsame Entwicklung der beteiligten Künstler_innen. Dabei sind die Grenzen dessen, wer was in Musik und Bühne beisteuerte fließend.
BIOGRAFIEN
THOMAS CORNELIUS DESI STÜCKTEXT, VOKALKOMPOSITION, INSZENIERUNG
Thomas Cornelius Desi ist ein österreichischer Komponist, Autor und Regisseur. Er ist Gründer verschiedener Initiativen für neues Musiktheater, Co-Direktor des Festivals MUSIKTHEATERTAGE WIEN und produzierte zahlreiche eigene Stücke. Seine Arbeit konzentriert sich auf die performative Erforschung der Psychologie von Menschen im historischen Kontext. Mehr unter www.thomasdesi.com – Von Thomas sind Konzept und Libretto, die Komposition der Gesangsparts, sowie die Inszenierung des Stücks.
NIHE
NIHE (»Verschiebung«) ist ein Trio mit elektronischer Musik aus Tallinn, Estland. Die drei Musiker, Tarmo Johannes, Taavi Kerikmäe und Ekke Västrik spielen auf verschiedenen internationalen Festivals Sets aus komponierten Strukturen und Improvisatorischen Arrangements. Auf dieser Arbeitsweise aufbauend, haben Sie den »Soundtrack« für dieses Stück entwickelt.
PETER KOGER
Peter Koger arbeitet als Visualist, Programmierer, Interaktions- und Animationsgestalter bei zahlreichen Kunstprojekten im Bereich Video und performative Kunst. Lehrbeauftragter an der Klasse Digitale Kunst der Universität für angewandte Kunst. Mitbegründer und -Betreiber der MediaOpera.
GILBERT HANDLER
Gilbert Handler ist ein österreichischer Performer, Sänger und Komponist. Zahlreiche musikalische Arbeiten und Engagements an Theatern und für Medien stehen neben der Entwicklung akustischer Räume mittels »Lautsprecherorchester«. – Gilbert ist der kreative Performer und Sänger mit »extended voice«, der erstmals in einem Stück Andrei Tarkovski als fiktionale Bühnenfigur zeigt.
Aufführung am Sonntag, 12. September 2021, 19.30 Uhr
Kammerspiele Linz
Im Rahmen des ARS ELECTRONICA FESTIVAL FÜR KUNST, TECHNOLOGIE, GESELLSCHAFT