Bonhoeffer – Unsichtbare Mächte

(Musiktheater), 2010 Soli, Chor, Orgel, Akkordeon, Schlagwerk, 70′

THOMAS DESIS ZOON-THEATERPRODUKTION „UNSICHTBARE MÄCHTE“ AM MITTWOCH IN DER REFORMIERTEN STADTKIRCHE

22. Juni 2010

Der österreichische Komponist Thomas Desi zählt zu den interessantesten Wegbereitern eines grundlegend neuen szenischen Konzeptes. In der Dorotheergasse 16 in Wien hat am 23. Juni 2010 die neueste „zoon“-Produktion Premiere. In „Unsichtbare Mächte – A Phantom Feast for Dietrich Bonhoeffer“ geht es um den Theologen Dietrich Bonhoeffer, den profiliertesten Vertreter der „Bekennenden Kirche“ gegen den Nationalsozialismus. 1943 von der Gestapo verhaftet, wurde er kurz vor Kriegsende, am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg erhängt. Man darf gespannt sein.

Der lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der 1906 in Breslau in einer bürgerlichen Familie geboren worden war, versuchte während der zweijährigen Haftzeit die Beziehung zu seiner jungen Verlobten, Maria von Wedemeyer, aufrecht zu halten… In der neuen ZOON-Theaterproduktion stehen nicht religiöse oder politische Aspekte im Mittelpunkt, sondern das moralische Dilemma individueller Schicksale.

Thomas Desis Musik ist ein Klangraum in Gestalt eines Kontinuums; sie ist jenes Fluidum, das einen architektonischen Raum ausfüllen kann, ohne sichtbar zu werden. Die Musik als „Phantom Feast“. „Das Thema ist ’Erwartung’: nämlich das Warten auf die Auswirkungen eines Tuns, das Warten im Gefängnis, das Warten auf eine Hochzeit, das Warten auf das Urteil, das Warten auf den Tod“ heißt es im Einladungstext.

Thomas Desi (vormals auch Thomas Dézsy) wurde in Vorarlberg geboren, lebt jetzt wieder in Wien und machte als Komponist schon lange von sich reden, auch als Musikschriftsteller, Performer, Theatermensch. Er studierte Musiktheorie und Orchesterdirigieren bei Karl Österreicher an der Wiener Musikhochschule. Kompositionskurse besuchte er unter anderem bei Louis Andriessen und Brian Ferneyhough. 1989-94 war er musikalischer Leiter des Totalen Theaters Wien,  1991-95 realisierte er im Projekt KlangArten, Neue Musik und… Musik und Musiktheater des 20. Jahrhunderts, in dessen Rahmen auch Morton Feldmans gesamtes Klavierwerk aufgeführt wurde und das 1994 in einer Zusammenarbeit mit Michelangelo Pistoletto seinen Abschluß fand. Daraus ging ZOON Musiktheater hervor, das sich der Realisierung neuer Musiktheater- bzw. Medientheaterprojekte widmet.

2010-2013 erhielt er erstmals eine 4-jährige Konzeptförderung vom Kulturamt der Stadt Wien. Unter wechselnden Formaten und verschiedenen Annäherungsstrategien soll neues Musiktheater entstehen, das sich im Produktionsprozess bewusst von der Oper absetzt. Als „langsame Einleitung“ war der Beginn der Saison 2009/10 gedacht: ‘BUDAPEST, WIEN, BUDAPEST 1989’ mit einem Text von Imre Kertész und Musik von György Ligeti sowie ‘NEITHER’ nach einem 10-Zeiler von Samuel Beckett mit Musik von Morton Feldman.

Beide genannten Textautoren berühren im weitesten Sinn einen metaphysischen Aspekt des Menschseins, dort, wo sich letztlich die Kunst, so wie ZOON es sich vornimmt, mit dem „Leben“ berührt. Desi/Feldmans „Neither“ im brut Konzerthaus im Dezember 2009 konnte der Autor dieses Vorberichtes besuchen. Thomas Desi fühlte sich in seinem Konzept ermutigt, seine Inszenierung mit einer dazukommenden zweiten Vorlage zu kombinieren. Er stieß nämlich darauf, dass in New York zur selben Zeit, als Feldman an der Partitur seiner Oper „Neither“ arbeitete, Martin Scorsese den mittlerweile legendären Film „Taxi Driver“ in den dortigen Straßen drehte.

Thomas Desis Inszenierung bezog sich auf diesen geografischen und zeitgeschichtlichen Zufall. Beide Erzählungen verhandeln existenzielle Fragen, die Antworten sind bestenfalls paradox und vorläufig. Die künstlerischen Mittel des Films und der Oper wurden in der Bearbeitung von ZOON und „Contemporary Opera New York“ (CCO) visuell überlagert. Als live agierende Protagonisten waren nur zwei Personen aufgeboten, eine amerikanische Sängerin hatte den Sopran-Vokalpart zu vollbringen, dazu spielte der Pantomime Johann Maraia Müller – in Wien auch im Serapions Theater tätig. Das war durchaus beindruckend, ganz im Sinne Morty Feldmans – ist es völlig unmöglich, diese Eindrücke auch zu schildern.

Nächster Akt der zoon-Produktionen war im Anatomietheater Desis Produktion „Der polnische Orpheus“ (mit diesem Namen ist Frederic Chopin immer wieder bezeichnet worden). In Desis  Stück geht es um Chopins Herz und den „Generalgouverneur“ Hans Frank, den „Schlächter von Polen“, der im Zweiten Weltkrieg im so genannten polnischen Nebenreich „regierte“.

Daniel Ender besprach die Aufführung Ende April im „Standard“: „Ist es schon ein erster Fallstrick, wenn Thomas Desi sein aktuelles Musiktheaterprojekt Der polnische Orpheus im Untertitel “A Comic Opera” nennt? Nicht unbedingt: Wenn man das Groteske, Skurrile und Monströse als – wenn auch nicht gustiösesten – Teil der Komik ansieht, dann lässt sich die erzählte Geschichte sehr wohl als komisch im Sinne einer Ansammlung von Absurditäten verstehen.

Lustig ist der Hintergrund des Stücks dabei freilich nicht: Der polnische Orpheus ist nämlich keineswegs Chopin, um den es zwar auch geht und dessen 200. Geburtstag ja immerhin gerade – wenn auch nicht sehr auffällig – begangen wird. Vielmehr war es der nationalsozialistische Generalgouverneur Hans Frank, der sich selbst mit diesem Epitheton schmückte.

Seine Zeitgenossen hatten allerdings andere Beinamen für den vehementen Fürsprecher des Holocaust parat, der dann bei den Nürnberger Prozessen verurteilt und hingerichtet wurde (…)  Dass er mitten in der Phase des Untergangs das Projekt eines umfassenden Chopin-Museums verfolgte, war für Thomas Desi das Erstaunlichste an dieser Biografie – und Grund genug, ihn als Figur auf die Bühne zu bringen. Außerdem spielt das in der Warschauer Heilig-Kreuz-Kirche in einem Glas Cognac aufbewahrte Herz Chopins in Der polnische Orpheus ebenso eine Hauptrolle wie – unter anderem Namen – Ludmilla Berkwic. Die Pianistin war von Frank genötigt worden, in seinem Museum auf einem gestohlenen Flügel aus dem Besitz des Komponisten zu spielen – und wurde dann als Jüdin denunziert.

Auf der Ebene der Musik verwendet der 1967 geborene Komponist, Dirigent und Musiktheoretiker, der auch als Regieassistent unter anderem bei David Pountney arbeitete und etliche Projekte im Bereich Theatermusik, Musiktheater und Oper realisiert hat, vor allem zwei Elemente: Das sind zum einen “Nachtodkompositionen”,  die dem britischen “Medium” Rosemary Brown angeblich vom verblichenen Komponisten diktiert wurden und die ein automatisches Klavier wiedergibt.

Zum anderen handelt es um die Préludes op. 28, die von einem Rock-Drummer interpretiert werden. Desi: “Ich bin dadurch erst draufgekommen, wie groovig Chopin oft ist. In den Préludes verfolgt er ja immer nur eine Idee. Wenn das vom Rock-Drummer gespielt wird, bleiben nur die Umrisslinien übrig, wie eine zerbombte Musik, die die melodische und harmonische Dimension verweigert. Es ist ein Versuch, mit ungleichen Mitteln zu spielen.” (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe, 27.04.2010)

Desi als Einstimmung auf „Unsichtbare Mächte“ im Rahmen seines Theaterprojekts hier zum Schluss noch einmal programmatisch: „Es sind nicht die tagespolitischen Nachrichten, durch die sich diese Arbeit vor sich hertreiben lassen will, sondern die im griechischen, aristotelischen Begriff des zoon politicon, des Menschen als einem „social animal“ (das ist die englische Übersetzung von „zoon politicon“) formulierte Definition vom Menschen als einem Lebewesen in einem abgegrenzten Raum, zu einem bestimmten Moment, das sein Bedürfnis nach Gesellschaft ausdrückt. (Musik-)Theater ist die/eine Metapher dafür.“ (hr)

UNSICHTBARE MÄCHTE
A Phantom Feast for Dietrich Bonhoeffer
von Thomas Desi
nach einer Anregung durch Charles Matz nach Texten von Dietrich Bonhoeffer
und dessen Umfeld, Paul Sturm sowie aus dem Neuen Testament
Seine Stimme: Günter Haumer, Bariton
Die Stimme seiner Mutter: Cornelia Horak, Sopran
Die Braut: Nina Plangg, Mezzosopran
Ein Pfarrer: Gottfried Falkenstein, Sprechstimme
Die Gemeinde, 2 Schergen, Stimmen: Ensemble des Albert Schweitzer Chors
Orgel: Johannes Hämmerle
Schlagwerk: Berndt Thurner
Akkordeon: Alfred Melichar
Besetzung: Chor (16), 4 Soli, Orgel, Schlagwerk, Akkordeon
Mit Nina Plangg, Gottfried Falkenstein, Günter Haumer, Cornelia Horak sowie Johannes Hämmerle (Orgel), Bernd Thurner (Schlagwerk), Alfred Melichar (Akkordeon) und dem Ensemble des Albert-Schweitzer-Chors
Textzusammenstellung, Musik und Regie: Thomas Desi
Musikalische Leitung: Matthias Krampe
Kostüm: Angela Wiedermann
Licht: Harald Michlits / Michael Wanzenböck
Produktionsleitung und Regieassistenz: Martina Schmidt
Grafische Gestaltung: Toledo i Dertschei
Pressefotos: Marko Lipus
Pressearbeit: Barbara Vanura
Administration: Sophie Cwikla
Uraufführung am 23. Juni 2010, Reformierte Stadtkirche, Wien
In Zusammenarbeit mit Musik am 12ten und
in Kooperation mit dem Festival Carinthischer Sommer.

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Premiere: 23. Juni 2010, Reformierte Stadtkirche, Dorotheergasse 16, 1010 Wien
Weitere Vorstellungen am 25., 26. und 27. Juni, Beginn aller Vorstellungen: 20:30 Uhr
Karten: 0699/19 71 35 03 / info@zoon.at (Preise: € 15 / ermäßigt € 12)

Eine Produktion von ZOON Musiktheater / Thomas Desi (Wien) in Kooperation mit dem Festival Carinthischer Sommer (Aufführung am 27. August in der Kirche des Stiftes Ossiach im August 2010).

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Text aus: https://www.musicaustria.at/thomas-desis-zoon-theaterproduktion-unsichtbare-maechte-am-mittwoch-in-der-reformierten-stadtkirche/ (Juni 2010)

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